„Ich reise gerne mit leichtem Gepäck“ - Interview mit Axel Milberg | vivanty - Entertainment & Lifestyle - VIVANTY, die pure Lust am Leben!

2023-02-16 14:47:36 By : Ms. Cherry Chan

Man kennt Axel Milberg als „Tatort“-Kommissar, aber inzwischen ist der 66-Jährige auch als leidgeprüfter Vater der chaotischen Familie „Bundschuh“ nicht mehr aus dem Fernsehen wegzudenken. Seine Wandlungsfähigkeit erprobt er immer wieder auf seinen vielen Reisen. Dabei sucht er keine touristische Erholung, sondern echte Erlebnisse, selbst wenn er dabei auch unangenehme Erfahrungen gesammelt hat.

Im letzten Film der „Bundschuh“-Reihe (in der ZDF-Mediathek) legte sich die Familie ein vermeintliches Traumhaus zu. Haben Sie auch solche Sehnsüchte? Das will ich nicht sagen. Ich bin in einem Alter, wo ich gerne mit leichtem Gepäck reise und mich nicht mit Besitz beschweren will. Natürlich ist es speziell in Corona-Zeiten gut, Platz zu haben, einen kleinen Vor-garten und in der Sonne zu sitzen. Aber solche Sehnsüchte wie mit 30, wo ich mir so ein Haus nicht leisten konnte, habe ich nicht mehr. Ich liebe Hotels, Pensionen oder auch Zeltplätze. Ich bin sechs bis acht Monte pro Jahr für Dreharbeiten unterwegs und da lernt man das Unterwegssein lieben und schätzen. Ich bin eher der Erforscher, anstatt mich hinter einem Zaun zu verstecken und zu sagen „Das ist meins“.

Normalerweise will man ja eher in jungen Jahren mit leichtem Gepäck reisen... Bei mir ist es gegenläufig. Ich bin jetzt in einem Alter, wo ich mich nicht festkralle, sondern Sehnsucht nach der Ferne habe.

Was lockt Sie denn in der Ferne? Zum Beispiel die großen Naturparks. Oder die Lofoten, da habe ich neulich Fotos gesehen. Ich kenne ja so Vieles noch nicht. Ich war noch niemals in Madrid oder Bordeaux. Von vielen Ländern kenne ich nur die Küstengebiete, aber nicht das Landesinnere. Wer war schon in Italien in Lukanien oder in Matera?

Aber gibt es trotz Ihrem Wunsch, leicht zu reisen, Besitztümer, auf die Sie nicht verzichten möchten? Gerald Bundschuh hat ja beispielsweise seine Plattensammlung. So als Schüler wollte ich unbedingt einen Kamin, einen Flügel und eine Bibliothek. Das gibt es inzwischen in meinem Leben. Gut, der Flügel ist ein Klavier, die Feuerstelle klein, dafür viel zu viele Bücher. Auf das offene Feuer könnten wir aber, glaube ich, am wenigsten verzichten.

Aber auf die Bibliothek schon? Die könnte ich wohl auf ein Zehntel reduzieren. Es gibt ja auch E-Books. Aber manche Bücher sind so wunderschön gemacht! Zur modernen Bibliothek gehören aber auch Filme, etwa „Wenn die Gondeln Trauer tragen“, „Christus kam nur bis Eboli“ oder Fellinis „Satyricon“, also drei Reisen nach Italien. Diese Filme sind gut gealtert, man kann sie immer wieder anstaunen.

Teilt eigentlich Ihre Familie den Wunsch, mit leichtem Gepäck zu reisen? Meine Frau hätte immer gerne einen festen Bezugsort, wo sich dann die ganze große Familie wieder versammelt. Das wäre also eher wie eine Art Umzug für mich. Ich brauche aber das Abenteuer zu zweit, eine Forschungsreise.

Aber was für konkrete Erlebnisse haben Sie so gesammelt? Bei einem Theatergastspiel in Moskau 1988/89 bin ich alleine durch die Stadt gegangen. Ich hatte ein, zwei Jahre Russisch auf der Schule, also war die kyrillische Schrift kein Problem. Und so habe ich versucht, mich zu assimilieren, in der Menge unsichtbar zu werden, auch mithilfe meiner schauspielerischen Instinkte, so dass ich nicht gewirkt habe wie ein Wessi. Da habe ich mich im Schneetreiben in die Schlange vor einem Laden eingereiht, ohne zu wissen, was es da gibt. Nach etwa 20 Minuten war ich bis in den Laden vorgerückt und sah, dass es grüne Tomaten in großen Einweckgläsern gab. Das sah schön aus, doch ich brauchte gerade keine grünen Tomaten. Aber ich war dankbar für die Illusion, dazuzugehören. Ein anderer zu sein. Ich glaube, das ist meine Sehnsucht auf Reisen. Ein anderes Mal, in Norditalien, zog es mich in einen Hinterhof. Es gab keinen Grund, kein Ziel. Ich bin meinem Instinkt gefolgt, öffnete eine Tür und auf einmal stand ich in einer fantastischen alten Universitätsbibliothek aus der Renaissancezeit, wo in aller Stille die Studenten lasen und schrieben. Es geht mir wohl einfach um das echte, ungekünstelte Leben.

Aber Entdeckungsreisen können auch gefährlich werden. Haben Sie das schon mal erlebt? In Marrakesch hatte ich einen meiner Söhne dabei. Wir standen da auf dem Platz der Gehenkten und fragten einen Einheimischen nach einem bestimmten Café. Da kam ein zweiter dazu und meinte: „Ich bringe sie.“ Das wollte ich auf keinen Fall, man hatte mich gewarnt. Ich wollte nur die Wegbeschreibung, aber keine Chance. Er führte uns 25 Minuten kreuz und quer durch die Altstadt, bis wir zu einem Tor kamen. Das wurde von innen für uns aufgeschlossen, hinter uns wieder abgeschlossen und auf einmal standen wir vor 20 brodelnden, stinkenden Gruben mit trübem Wasser, in dem Haut und Haare schwammen. Ich suchte schon nach der Brille eines deutschen Touristen auf der Oberfläche dieser Brühe, aber so schlimm war es nicht. Das war eine private Gerberei, in der wir uns umschauen und auch Lederwaren kaufen sollten. Außerdem wollte der Mann 150 Dollar für seine Familie. Wir kamen uns ein bisschen wie Geiseln vor, als uns erklärt wurde, wenn wir zahlen, geht auch das Tor wieder auf. Im Angesicht dieser brodelnden Gruben wird man da schon etwas nachdenklich.

Aber alles ging gut aus? Ja. Wenn man es „überlebt“, schmunzelt man und weiß es dann in Zukunft besser. Aber ein paar Tage danach war ich vor all den Schlangenbeschwörern etwas bockig und mit den Straßenhändlern nicht wirklich am Feilschen, habe überall eine Falle gewittert. All die freundlichen Menschen in Marrakesch, die uns zum Tee einladen wollten, um dann Geschäfte zu besprechen, bekamen ein barsches ‚Nein, non, merci, no, please‘ zu hören. Man muss das richtig einschätzen lernen, sich ein bisschen schämen und dann weiter üben.

Interview von Rüdiger Sturm

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