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2023-02-16 15:34:53 By : Ms. Pam Sheng

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Meine Begegnung mit Gina Lollobrigida begann mit einem kleinen farblichen Zwischenfall. Kurz vor ihrem 70. Geburtstag trafen wir uns zum Interview in einem Restaurant in Rom, es war ihre Wahl und erinnerte an ein Gemälde von Gustav Klimt: goldene Kolibris vor lila Hibiskusblüten, grün schimmernden Bronze-Epheben und opalisierenden Jugendstil-Glasmosaiken. Als Gina nazionale auf ihren Zwölf-Zentimeter-Absätzen durch die Räume stöckelte, verschluckten sich die Gäste an ihrem Essen, und Gina schenkte ihnen im Vorbeigehen ihr kleines spöttisches Lächeln. Am Arm trug sie einen fliederfarbenen Nerz und einen sonnengebräunten Begleiter, der ihren Kroko-Schminkkoffer wie eine Hostiendose vor sich hielt.

Ginas Perlenbustier funkelte in Fuchsia, um ihre Schultern loderte eine purpurrosa Seidenstola. Und dann sagte der Fotograf, dass er die Absicht habe, sie in Schwarz-Weiß zu fotografieren. Plötzlich war es ganz still im Restaurant . Ginas Gesicht verdüsterte sich wie der Himmel bei einer Sonnenfinsternis. Und dann legte sie einen Vulkanausbruch hin, der auch ihren Lieblingsregisseur John Huston hingerissen hätte: Schwarz-Weiß! Schließlich habe sie das Restaurant nach der Farbe ausgesucht, und dann dies! Sie sei Künstlerin! Und Profi-Fotografin! Und überhaupt – dieses Licht! Haben Sie kein anderes Licht?

Hilflos suchten der Fotograf und ich nach Auswegen und schlugen vor, die Aufnahmen zu vernichten, falls sie ihr nicht gefielen. Ohne große Überzeugung gab Gina nach. Nachdem die Fronten geklärt waren, wurde es noch sehr lustig mit ihr.

Sie galt als Inbegriff aggressiver Schönheit, umworben von Regisseuren wie King Vidor, Carol Reed, René Clair in mehr als 70 Filmen. Zum italienischen Star wurde sie 1953 in Luigi Comencinis Brot, Liebe und Fantasie in der Rolle von "La Bersagliera", einem bitterarmen Mädchen, das sich in einem süditalienischen Dorf in einen Polizisten verliebt. Da war es schon: dieses überbordende Temperament, diese Sinnlichkeit und zugleich die präzise Entschlossenheit einer Frau, die auf und jenseits der Leinwand ihr Stück vom großen Kuchen abhaben will. Ersten internationalen Ruhm verschaffte ihr der französische Film Fanfan, der Husar an der Seite von Gérard Philipe, mit Anthony Quinn drehte sie Der Glöckner von Notre Dame, sie wurde von fast allen US-Präsidenten von Dwight D. Eisenhower bis Bill Clinton empfangen, der Schah von Persien verehrte sie, François Mitterrand verlieh ihr das Ritterkreuz der Ehrenlegion, in Argentinien vergötterte man sie wie Evita Perón, und auf dem Filmfest in Cannes löste ihr Anblick noch Tumulte aus, als sie fast 70 war.

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Bei unserem Treffen lästerte sie nicht nur über all die Männer, denen man Affären mit ihr, der "schönsten Frau der Welt", nachgesagt hatte, also unter anderem Howard Hughes, Frank Sinatra, Fidel Castro und Henry Kissinger, sondern erzählte auch sehr komisch über ihren Versuch, sich in das Bett von Gérard Philipe einzuschleichen – was er mit dem Verweis auf seine Mutter ablehnte.

Bis zu ihrem Tod legte sie Wert darauf, nicht "nur" Schauspielerin zu sein. In den 1970er-Jahren begann sie eine erfolgreiche Karriere als Fotografin und Dokumentarfilmerin. Sie war Perfektionistin. Wenn sie glaubte, etwas zu beherrschen, interessierte es sie nicht mehr. Das galt für Männer ebenso wie für die Fotografie. Später widmete sie sich der Bildhauerei. Nebenbei wurde sie mit internationalen Auszeichnungen überhäuft, zuletzt mit dem Preis der italienischen Akademie der Künste. Und mit 95 Jahren bewarb sie sich noch für den Senat, als Spitzenkandidatin für "Italia Sovrana e Popolare", ein Bündnis linker Parteien.

Überredet dazu hatte sie Antonio Ingroia, einer der berühmtesten Antimafia-Staatsanwälte Italiens, der heute als Anwalt nicht nur Mafiaopfern zur Seite steht, sondern auch Gina Lollobrigida in ihrem Rosenkrieg gegen ihren Sohn und ihren Enkel vertrat. Die Gina nazionale unter Vormundschaft gestellt hatten, aus Angst um ihr Erbe. Darüber sprach sie zur besten Sendezeit, auf Rai 1. Sie machte auch kein Geheimnis aus ihrer Liebe zu ihrem 35-jährigen Assistenten und ihrer vom Vatikan annullierten Ehe mit einem bizarren Spanier. Und die Italiener liebten sie dafür. Sie liebten sie für ihre Ehrlichkeit, ihre Brokatroben und Madame-Pompadour-Perücken und dafür, dass sie sich nie aufgegeben hat.

Sie blieb "La Bersagliera": furchtlos bis zu ihrem letzten Atemzug.

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Schauspielerin, hervorragende Tänzerin, klassisch ausgebildeter Sopran (YouTube vissi d'arte), erfolgreiche Bildhauerin und Fotografin und dann DAS Aussehen. Da kann man sich mit seinen Talenten einfach nur in eine Ecke verkriechen. Manche Menschen haben und können einfach alles. Und daß ihr Männer hinterhergerannt sind? Ach Gottchen, Nebensache. RIP Gina

Ihr liefen die Männer hinterher, natürlich. Sie war aber auch keine Nonne. Bei der WM 1990, also im Alter von 63 Jahren, grub sie bei einem PR-Event noch Thomas Berthold an, der ihr nach eigenen Worten sehr gefiel.

Auch da scheint sie mehr Ahnung gehabt zu haben. Der DFB wollte ihn für seine smartness, das ist schiefgegangen, wie man jetzt weiß. Sie wollte ihn für etwas anderes. Das kann durchaus sein, daß das besser funktionierte.

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