Reisen Sie also in 7 Stunden von Cusco nach Curahuasi - Diospi Suyana

2023-02-16 14:42:36 By : Mr. Edwin Cheng

Es sind keine guten Zeiten. In Lima leisten sich Demonstranten heftige Gefechte mit 11.000 Polizisten. Im ganzen Land blockieren radikale Gruppen die Straßen. Donnerstagvormittag: Meine Termine habe ich in Lima abgearbeitet. Es gelingt mir, meinen Rückflug nach Cusco um fünf Stunden vorzuverlegen. Kurz nach der Landung in der Inka-Metropole wird der Flughafen wegen der Unruhen wieder geschlossen. Es ist 13:30 Uhr und ich muss mich irgendwie 130 km nach Curahuasi durchschlagen.

Vor dem Flughafen überrede ich Fahrer Nr. 1, mich soweit es geht durch Cusco zu bringen. Wir tasten uns im Wagen durch leere Straßen. Immer auf der Hut. Vorsicht  ist geboten. Die strategischen Kreuzungen werden von Streikposten bewacht. Die Blockaden bestehen aus Bäumen, alten Autoreifen, Kisten und Metallteilen. Eine gute halbe Stunde spreche ich dem Mann am Steuer Mut zu. Doch irgendwann ist Schluß und ich muss zu Fuß weiter. Glücklicherweise finde ich schon nach zehn Minuten Fahrer Nr. 2. Er bringt mich und zwei andere Fahrgäste tatsächlich an den Ortsausgang. Dort muss ich aussteigen. Ich schnappe mein Boardcase und meine Laptoptasche und ziehe weiter.

Geröll und Felsbrocken auf der Panamericana. Ein Auto hält plötzlich neben mir. Drinnen sitzen ein Mann und eine Frau aus Curahuasi. “Dr. Klaus, steigen Sie ein. Sagen Sie an den nächsten Blockaden einfach, dass Sie als Direktor des Hospitals Diospi Suyana notfallmäßig zurück müssen!” – “Ich werde nicht lügen!”, antworte ich und packe meine Sachen auf die Rückbank. “Wir nehmen von Ihnen 100 Soles, wenn wir es bis nach Curahuasi schaffen sollten!” – Das ärgert mich gewaltig. Einerseits soll ich für die beiden mit den Streikenden jeweils die Durchfahrt verhandeln, andererseits wollen die zweifelhaften Engel an mir kräftig verdienen. An der nächsten Blockade bin ich wieder draußen und verlasse mich auf die Kraft meiner Beine.

Autofahrer 4 hilft mir mit einer Mitfahrgelegenheit bis in Sichtweite des Ortes Poroy. Man will an einer Barrikade seine Reifen durchstechen, aber sofort halte ich eine kleine Ansprache über den Segen, den Diospi Suyana für Hunderttausende arme Patienten bedeutet. Laufen muss ich trotzdem. Fahrer 5 ist der Besitzer eines Moto-Dreirads. Eine Quechua-Indianerin macht es sich neben mir auf der Rückbank gemütlich. Unser gemeinsames Glück endet natürlich an einer Straßensperre.  Nun geht es weiter per Pedes. In der Stadt Izcuchaca stehen die Zeichen auf Rebellion. Ein Großteil der Bevölkerung sind Quechua-Indianer. Sie fühlen sich von der Zentralregierung vergessen, verraten und verkauft. Fahrer 6 lädt mich in sein rotes Moto-Dreirad ein und wir durchqueren den Ort mit 30 km/h.

Eine Stunde laufe ich schon in Richtung Westen der untergehenden Sonne entgegen. In einem Laden habe ich mich mit Getränken und Plätzchen versorgt. Wer weiß, wo ich um Mitternacht in den Bergen sein werde. Auf der Straße treffe ich eine kleine Gruppe von Jugendlichen. Wir grüßen uns. Und jetzt liegt meine Rettung greifbar in der Luft. Ein junger Mann bietet mir an, mich mit seinem Motorrad bis nach Ancahuasi zu fahren. Er müsse nur noch schnell auf einen Sprung nach Hause. Damit wäre ich schon bei Kilometer 46 (von 130) angelangt. Man sagt mir, ich solle hier warten, mein Helfer in der Not sei gleich da. “Nein, ich laufe schon mal etwas weiter. Laufen ist gesund” murmele ich leise. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass der Motorradfahrer seinen Worten auch Taten folgen lassen wird.

Mal hängt meine Laptoptasche links, mal rechts. Mein Boardcase hat Räder, die leider einen ziemlichen Lärm machen. “Go West Young Man”, sagen die Amerikaner und genau das tue ich. Nach vielleicht 25 Minuten höre ich hinter mir ein Motorengeräusch. Unglaublich. Der junge Mann im luftigen T-Shirt (Fahrer Nr. 7) brummt auf seinem Motorrad heran. Er wird mich gleich 15 km über die Hochebene nach Ancahuasi bringen. Wir werden ziemlich gute Freunde. Not schweißt zusammen. An den Straßenblockaden halte ich jeweils eine kleine Rede über Diospi Suyana. Die Campesinos nicken dann stets mit ihren Köpfen und lassen uns passieren.

In Ancahuasi trennen sich unsere Wege. Ich fange im Ort sofort an zu verhandeln. Aber ich finde einfach keinen Autofahrer, der in diesen unsicheren Tagen die Integrität seines Fahrzeugs aufs Spiel setzen möchte. Da komme ich mit einem Motorradfahrer ins Gespräch. Er will 20 Soles bis zur nächsten Barrikade oder 50 Soles, falls wir es wirklich die 36 km nach Limatambo schaffen sollten. Mir bleibt nichts anderes übrig, wenn ich nicht die ganze Nacht an diesem trostlosen Ort verbringen will.

Also die gleiche Nummer noch einmal. Links an der Schulter hängt meine Laptoptasche. Rechts halte ich mein Boardcase krampfhaft in meiner rechten Hand. Mit meiner linken klammere ich mich an Fahrer Nr. 8. – Sie Sonne verschwindet hinter den Bergen und die Temperaturen fallen gleich um mindestens zehn Grad. Meine Finger sind längst eiskalt und mein Rücken leidet zusehends an Verspannungen. Ein Bremsmanöver aus heiterem Himmel. “Wir müssen zurück und einen Feldweg fahren!” Mein guter Geist am Steuer hat wohl Recht. Vor uns stehen Campesinos hinter Baumstämmen und Steinen. Auf Palaver und Schlimmeres wollen wir er es nicht ankommen lassen. Also runter von der Straße und über einen Feldweg einer unsicheren Zukunft entgegen.

Die Sperre haben wir umschifft und wir fahren wieder auf der großen Überlandstraße. Rechts läuft ein Wanderer mit Rucksack. “Können wir den noch mitnehmen?”, mein Fahrer macht tatsächlich keine Witze. Er meint, dass mit einem Fahrgast auf dem Motorrad (also zwei Personen) und zwei großen Gepäckstücken die Kapazität noch lange nicht ausgeschöpft wäre. “Nein, auf keinen Fall”, ruf ich schon fast flehentlich. Die Dunkelheit bricht an. Um sechs Uhr wurden einige Sperren geöffnet. Und wir fahren nun in einem Konvoi von Lastwagen ins Tal nach Limatambo.

Der Rest der Geschichte ist kurz erzählt. Ein privater Taxifahrer (Nummer 9) kutschierte mich 20 km bis zum Fluß Apurimac. Und ein netter Lastwagenfahrer (Nummer 10) nahm mich anderthalb Stunden auf dem Beifahrersitz mit in Richtung Curahuasi. Dass ich am Ende noch eine Viertelstunde wandern musste – vorbei an etwa 100 Streikposten – hat mich überhaupt nicht mehr gejuckt. Ich hatte es nach Hause geschafft – wohl als der einzige Reisende aus Cusco am gestrigen Tag. Und gegen 21 Uhr aß ich eine heiße Suppe aus dem Sortiment meiner lieben Frau. Das Dankgebet zur guten Nacht kam aus tiefsten Herzen. /KDJ

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